Gedichte
Der Tod kann auch freundlich kommen -
zu Menschen, die alt sind,
deren Hand nicht mehr festhalten will,
deren Augen müde werden,
deren Stimme nur sagt:
Es ist genug. Das Leben war schön.
Die starken, tätigen Hände sind dir gebunden.
Ohnmächtig, einsam siehst du das Ende deiner Tat.
Doch atmest du auf und legst das Rechte still und getrost
in stärkere Hand und gibst dich zufrieden.
Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit,
dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.
Dietrich Bonhoeffer
O Trost der Welt, du stille Nacht!
Der Tag hat mich so müd gemacht,
Das weite Meer schon dunkelt,
Lass ausruh´n mich von Lust und Not,
Bis dass das ew´ge Morgenrot
Den stillen Wald durchfunkelt.
Eichendorff
Das Abendrot
Das Abendrot des sommerlichen
Sonnenuntergangs im Nordwesten
Verdunkelt sich langsam, und der
Engel schläft und kehrt im Traum
Zurück in die wunderbare Welt,
wo es immer Licht ist und wo jeder
glücklich ist, wo einen Feuer nicht
verbrennt und Eis nicht frieren lässt;
wo Bäche von Sternenlicht durch
die amarantroten Wiesen fließen,
hinaus in die Meere des Friedens.
Er träumt, und es scheint ihm, als
Erstrahlten seine Flügel noch einmal
Von tausend Farben und blitzten
In der kristallklaren Luft jener Welt,
aus der er gekommen war.
H.G. Wells
Der Engel in dir
Der Engel in dir
Freut sich über dein
Licht
Weint über deine Finsternis
Aus seinen Flügeln rauschen
Liebesworte
Gedichte Liebkosungen
Er bewacht
deinen Weg
Lenk deinen Schritt
engelwärts
Rose Ausländer
Der Tod der Geliebten
Er wusste nur vom Tod, was alle wissen:
Dass er uns nimmt und in das Stumme stößt.
Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen,
Nein, leis aus seinen Augen ausgelöst,
Hinüberglitt zu unbekannten Schatten,
Und als er fühlte, dass sie drüben nun
Wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten
Und ihre Weise wohlzutun:
Da wurden ihm die Toten so bekannt,
Als wäre er durch sie mit einem jeden
Ganz nah verwandt; er ließ die andern reden
Und glaubte nicht und nannte jenes Land
Das gutgelegene, das immersüße -.
Und tastete es ab für ihre Füße.
Rainer Maria Rilke
Freiheit
Losgelöst von allen Plagen;
Losgelöst von allem Sagen;
Losgelöst von jedermann;
Losgelöst vom Fragen was man kann.
Losgelöst von jedem Zwang;
Losgelöst von jedem Drang.
Losgelöst von aller Not;
ist die Freiheit: ist der Tod!
Karl-Eugen Panitz
GINKGO BILOBA
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Giebt geheimen Sinn zu kosten,
Wie's den Wissenden erbaut.
Ist es Ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt,
Sind es zwey die sich erlesen,
Daß man sie als Eines kennt.
Solche Frage zu erwiedern
Fand ich wohl den rechten Sinn,
Fühlst du nicht an meinen Liedern
Daß ich Eins und doppelt bin.
Johann Wolfgang von Goethe
Herbstlied
Es ist so schnell vergangen
Das Jahr, das eben erst begann.
Kaum hat es angefangen
Mit Blühen und mit Prangen
Schon hebt das Herbsten an.
Gedachte man noch eben:
welch langer Zeitraum liegt vor mir!
was werde ich erleben?
Wie wird sich alles geben?
Da zeigt sich schon das Ende hier.
Die Frucht wird eingefahren,
Der Bäume Blätter färben sich,
Die Vögel schon in Scharen
Zieh'n fort und wir erfahren:
Mensch sucht den Menschen nachbarlich.
Möcht stützen sich, - verstecken,
Denn langsamer wird jeder Schritt!
Da- dürfen wir entdecken:
Es knospet in den Hecken,
Ein Neues kommt und reißt uns mit!
Bleibt uns doch nichts erhalten
Im steten Wandern durch die Zeit!
Was jung ist muss veralten,
was klein ist, groß entfalten,
Und neues Leben rings gedeiht.
Der Herbst in seiner Fülle
Bereitet langsam uns drauf vor.
Das ist des Schöpfers Wille:
Erst reift's in aller Stille,
Dann drängt's ans Licht mit Macht empor.
So sind des Lebens Weisen!
Und niemand darum fürchte sich,
Laßt danken uns und preisen.
Wir alle sind auf Reisen,
doch eingebettet ewiglich.
C.L. Nottebohm
Mein Garten
Ich habe einen Garten
In dem blühen Rosen
Ich habe einen Garten
Ich bepflanze ihn mit Sehnsucht
Dort gibt es keine Begegnung
Ich habe einen Garten
Ich säe mit Schmerzen
und warte auf Betäubung
Ich habe einen Garten
Einen Garten mit Kreuz
Ich habe einen Garten
Einen Garten den ich niemals wollte
Ich habe einen Garten
Mit einer Holzkiste tief unter der Erde
Ich habe einen Garten
Einen Garten unter vielen
Dort stehen Menschen
Und fallen Tränen
K. Rothermel
Memento
Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang,
nur vor dem Tod derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich todentlang
und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Der weiß es wohl, dem Gleiches widerfuhr,
und die es trugen, mögen mir vergeben-
bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
doch mit dem Tod der Andern muss man leben.
Mascha Kaléko
Mondnacht
Es war als hätt' der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun Träumen müsst'.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.
Joseph v. Eichendorff
November – Zeit des Gedenkens
Es gibt Tage, da werde ich melancholisch.
Es gibt Tage, da kommen die Erinnerungen in mir hoch.
Da weiß ich selbst nicht so recht, was ist nur los mit mir?
Einerseits will ich stark bleiben, andererseits könnte ich weinen.
Es liegt bestimmt an den grauen Tagen, am Regen und der dunkleren Jahreszeit.
Das Jahr neigt sich dem Ende, und bald ist Weihnachten.
Ob ich alleine bleiben soll, oder doch mit zur Familie gehen soll?
Wie war es denn früher?
Der Regen prasselte auch an die Scheiben, draußen war es auch dunkel.
Ich mummelte mich in eine Decke, zündete eine Kerze an und fand diesen
Herbst mit meinem Buch in der Hand auf dem Sessel so gemütlich.
Man fand Zeit für sich selber, die Tage wurden ruhiger.
Auch jetzt prasselt der Regen.
Auch jetzt ist es dunkel, aber trotzdem ist alles so anders.
Meine Tage ohne Dich sind nun einsamer geworden.
Du fehlst mir!
Ich ziehe meine Jacke an, binde mir den Schal um und …
Soll ich doch besser hier bleiben, Zuhause, in meinem Versteck?
Ich hadere mit mir und habe Angst …
Es war schön bei Dir!
Es tat gut, an deinem Grab zu stehen. Auch wenn ich sehr weinen musste.
Aber die ungeheure Kraft, die in mir aufkam, Ich bin froh, dass ich bei Dir war.
Und jetzt zünde ich eine Kerze an, mummele mich in den Sessel,
habe das Bild von Dir neben mich auf den kleinen Beistelltisch zum dampfenden heißen Tee gestellt
und fühle mich ganz voll mit Gefühlen. Ich habe doch Kraft und bin so stolz auf mich.
Ich glaube Du auch!
Ich komme morgen wieder, November – Zeit des Gedenkens; endlich mal Ruhe, endlich mal keinen Trubel, endlich die Gedanken an Dich zulassen können, immer mehr, immer stärker.
Thilo Meier
November – Zeit des Gedenkens - Teil 2
Es ist nun fast genau ein Jahr her. Du bist im November 2008 gestorben. Ich möchte es noch immer nicht glauben und es fällt mir schwer, es zu begreifen, dass du nicht mehr da bist. Ich ertappe mich oft, wie ich noch immer hoffe, du kämest plötzlich doch zur Tür herein gelaufen und alles ist wieder gut. Es gibt Ecken im Haus, die erinnern mich so stark an dich. In deinem Arbeitszimmer kann ich noch überhaupt nichts verändern. Alles ist noch an seinem Platz und genau als wäre es gestern, so als seiest du noch da. Der Geruch und dein Parfum in dem einen Schrank mit deiner Kleidung ist immer noch da. Ich kann einfach noch nichts verändern obwohl ich es mir wünsche. Vielleicht will ich mir damit selber zeigen, dass ich Kraft habe. Dass ich stark bin.
Muss ich denn immer stark sein? Muss ich denn etwas ändern? Ohne dich hat sich ja schon so viel verändert. Ich fühle mich einsam. Das Kochen macht mir noch immer keinen Spaß. Alleine Essen möchte ich nicht. Und plötzlich ganz schnell ist es wieder da, das Gefühl, alles kostet so viel Kraft. Wie gelähmt kämpfe ich mich durch den Tag. Schnell falle ich wieder in das große leere Loch. Und dann geht gar nichts mehr. Dann möchte ich auch nicht mehr. Nach einem Jahr, noch immer nichts besser? Nach einem Jahr noch immer so leer und traurig? Bin nur ich so?
Meine Bekannte hat mir kürzlich erzählt, dass es bei ihr ganz anders abgelaufen ist. Ihr ging es eigentlich verhältnismäßig gut. Der große Einbuch kam erst nach 4 Jahren. Davor habe ich Angst. Soll es noch schlechter werden? Und wenn, so kann ich nichts ändern. Ich muss es akzeptieren und versuchen das Beste daraus zu machen. Was ich mir am meisten wünsche ist Kraft. Nicht Kraft um es so zu machen, dass ich anderen gefalle und so tue als ginge es mir gut, sondern ich wünsche mir Kraft, mir meine Zeit zum Trauern und Traurig sein zu erlauben. Kraft um mich nicht mehr mit Selbstvorwürfen zu beschäftigen, dass ich nicht so bin, wie die Anderen mich gern sehen würden. Ich will mich so akzeptieren, so wie ich bin und so, wie ich es brauche. Egal wie lange, egal wie weh es tut. Wenn ich nämlich ehrlich bin, so geht es mir doch Schritt für Schritt, Tag für Tag immer ein kleines bisschen besser. Ich möchte nichts verdrängen und will mich auch nicht gezwungener Maßen ablenken. Ich habe mich immer gewundert, was meine Bekannte alles gemacht hat, habe mich immer gewundert, wo sie die Kraft für all die Ablenkung her nimmt. Nun weiß ich es. Wenn ich mir die Zeit nicht nehme, die ich brauche um zu verarbeiten, dass du nicht mehr da bist, so holt sich der Körper und vor allem der Geist die Zeit eben später.
Ich muss noch viel lernen. Ich wünsche mir nicht nur Kraft, sondern auch die Ruhe, in mich rein zu hören, was mein Körper sagt. Ich glaube der Tod ist das Einzige in unserer schnellen Zeit, der sich seine Zeit nimmt, egal wie viel Trubel um einen herum ist. Abschied nehmen braucht Zeit. Ich habe ja auch viele Jahre mit dir zusammen verbracht- viel schöne Zeit mit dir.
Du wärst traurig, wenn ich mich hängen lassen würde. Ich brauche niemandem etwas beweisen aber ich möchte mich nicht aufgeben. Es ist eben so. Ich muss lernen es zu akzeptieren.
Thilo Meier
Sie erlischt
Der Vorhang fällt, das Stück ist aus,
Und Herrn und Damen gehen nach Haus.
Ob Ihnen auch das Stück gefallen?
Ich glaub ich hörte Beifall schallen.
Ein hochverehrtes Publikum
Beklatschte dankbar seinen Dichter.
Jetzt aber ist das Haus so stumm,
Und sind verschwunden Lust und Lichter.
Doch horcht! Ein schollernd schnöder Klang
ertönt unfern der öden Bühne; -
Vielleicht dass eine Saite sprang
an einer alten Violine.
Verdrießlich rascheln im Parterre
etwelche Ratten hin und her,
und alles riecht nach ranzgem Öle.
Die letzte Lampe ächzt und zischt
verzweiflungsvoll und sie erlischt.
Das arme Licht war meine Seele.
Heinrich Heine
Souvenier de la Malmaison
Die menschenblasse Rose legte ich
Auf deine kalten, überkreuzten Hände,
Und strich dein Haar zurück und pflegte dich,
Ob ich dein jubelnd Leben wiederfände.
Im Zimmer, irregeflogen, regte sich
Ein Schmetterling, die alte Grablegende.
Dein Sarg schloß zu, der Kummer fegte mich
In fernes Land aus trostlosem Gelände.
Detlev von Liliencron
Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andere, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hermann Hesse
Vergänglichkeit
Alles was man sehen kann
ist vergangen irgendwann.
Städte, Wiesen, Menschen gehen
doch man wird sie wieder sehen.
Der Tod ist auch ein Neubeginn
sonst hätt´ das Leben keinen Sinn.
Vergänglichkeit ist nicht das Ende,
ein Leben füllt so manche Bände.
Und ist es manchmal noch so klein,
so wird es doch für ewig sein.
Janina Hilbig
Was ist Sterben?
Zum Engel der letzten Stunde,
den wir so hart den Tod nennen,
wird uns der weichste, gütigste Engel zugeschickt,
damit er gelinde und sanft das niedersinkende Herz
des Menschen vom Leben abpflücke
und es in warmen Händen und ungedrückt aus der kalten Brust
in das hohe, wärmende Eden trage.
Sein Bruder ist der Engel der ersten Stunde,
der den Menschen zweimal küsset,
das erste Mal, damit er dieses Leben anfange,
das zweite Mal, damit er droben ohne Wunden aufwache
und in das Andere lächelnd komme,
wie in dieses Leben weinend.
Jean Paul
Welke Blätter
Plötzlich hallt mein
Schritt nicht mehr,
sondern rauscht leise,
leise,
wie die tränenvolle
Weise,
die ich sing,
vor Sehnsucht schwer.
Unter meinen müden
Beinen,
die ich hebe wie im
Traum,
liegen tot und voll von
Weinen
Blätter von dem großen
Baum
Selma Meerbaum-Eisinger
Wenn es so weit sein wird mit mir …
Wenn es so weit sein wird
mit mir
brauche ich den Engel
in dir
bleibe still neben mir
in dem Raum
jag den Spuk der mich schreckt
aus dem Traum
sing ein Lied vor dich hin
das ich mag
und erzähle was war
manchen Tag
zünd ein Licht an das
Ängste verscheucht
mach die trockenen Lippen
mir feucht
wisch mir Tränen und Schweiß
vom Gesicht
der Geruch des Verfalls
schreck dich nicht
halt ihn fest meinen Leib
der sich bäumt
halte fest was der Geist
sich erträumt
spür das Klopfen das schwer
in mir dröhnt
nimm den Lebenshauch wahr
der verstöhnt
wenn es soweit sein wird
mit mir
brauche ich den Engel
in dir
Friedrich Karl Barth/Peter Horst
Wenn wir alle eins sind
„Wenn wir alle eins sind,
so sind unsere Seelen alle verbunden.
Wenn Du mich nicht mehr siehst,
so sehe mich im Anderen - Gleichen- !
Wenn Du von mir träumst,
warum muß ich dann sichtbar sein?
Nehme meinen Bruder,
meine Schwester an die Hand,
und gehe – wohin DICH DEIN Weg führt,
ich werde immer bei Dir sein!“
Unbekannt
Ich zieh mich in mein Inneres zurück,
Der Schleier fällt,
da hab ich dich und mein vergangnes Glück,
Du meine Welt!
Adelbert v. Chamisso
Man sieht nur mit dem Herzen gut.
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
Antoine de Saint-Exupéry
Ich habe Angst vor dem Tod
Beim Einschlafen denke ich manchmal:
Was wird mit mir sein, wenn ich nicht mehr aufwache?
Ich denke mir oft,
dass ich vor der Geburt von meiner Mutter umgeben war,
in ihrem Leib, ohne sie zu kennen.
Dann brachte sie mich zur Welt,
und ich kenne sie nun und lebe mit ihr.
So, glaube ich, sind wir als Lebende von Gott umgeben,
ohne ihn zu erkennen. Wenn wir sterben,
werden wir ihn erfahren so wie ein Kind seine Mutter,
und mit ihm sein.
Warum sollte ich den Tod fürchten?
Carl Zuckmayer
Wir sind's gewiss in vielen Dingen,
im Tode sind wir's nimmermehr,
die sind's, die wir zu Grabe bringen,
und eben diese sind's nicht mehr.
Denn, weil wir leben, sind wir's eben
von Geist und Angesicht;
und weil wir Leben sind wir's eben
zur Zeit noch nicht.
F.E.D. Schleiermacher
"Mancherlei hast du versäumet:
Statt zu handeln, hast geträumet,
statt zu danken, hast geschwiegen,
solltest wandern, bliebest liegen."
Nein, ich habe nichts versäumet!
Wisst ihr denn was ich geträumet?
Nun will ich zum Danke fliegen,
Nur mein Bündel bleibe liegen.
J.W. v. Goethe
Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus,
flog durch die Lande, als flöge sie nach Haus.
Joseph von Eichendorff
Manchmal sind mir Engel begegnet,
aber immer nur dann, wenn ich
nicht wirklich wach war, in dem
schwankenden Niemandsland,
das wir durchstreifen, ehe wir hinüber
wechseln in die Urwälder
des Schlafes oder in einen Traum.
Keto von Waberer
Manchmal überfliegen einzelne Engel mein Grundstück,
Hin zu dem oder dem tröstungsbedürftigen Volk.
Gestern war einer, die Sonne schimmernd in Flügeln und Haaren.
Sie durchschien auch sein Hemd. Deutlich erhellte dabei,
dass er sanft gebildet und mädchenhaften Geschlechts war.
Lange blickte ich ihm nach.
Dann auf dem Pflaster im Hof
Lag was Weißes. Ihm war eine Feder heruntergefallen.
Und ich hob, all dies dir zu berichten, sie auf.
Peter Hacks
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
Rainer Maria Rilke
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel.
Sie gehen leise, sie müssen nicht schrein, die Engel.
Oft sind sie alt und hässlich und klein, die Engel.
Sie haben kein Schwert, kein weißes Gewand, die Engel.
Vielleicht ist einer, der gibt dir die Hand, der Engel.
Oder er wohnt neben dir, Wand an wand, der Engel.
Dem Hungernden hat er das Brot gebracht, der Engel.
Dem Kranken hat er das Bett gemacht, der Engel.
Er hört, wenn du rufst in der Nacht, der Engel.
Er steht im Weg und sagt: Nein, der Engel.
Groß wie ein Pfahl und hart wie ein Stein, der Engel.
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel.
Rudolf Otto Wiemer
Als dann der Frühling im Garten stand,
Das Herz, ein seltsam Sehnen empfand,
Und die Blumen und Kräuter und jeder Baum
wachten auf aus dem Wintertraum,
Schneeglöckchen und Veilchen hat über Nacht,
der warme Regen ans Licht gebracht,
Aus Blüten und dunkler Erde ein Duft
durchzog wie ein sanftes Rufen die Luft.
Shelley, Percy Bysshe
Die Erinnerung ist wie ein Fenster,
durch das ich dich sehen kann,
sooft ich will.
Unbekannt
Einschlafen dürfen, wenn man müde ist,
und eine Last fallen lassen dürfen,
die man sehr lange getragen hat,
das ist eine köstliche,
eine wunderbare Sache.
Unbekannt
Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung.
Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in stille Freude.
Man trägt das vergangene schöne nicht wie ein Stachel,
sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.
Unbekannt
Weiß sah ich einen Engel vor mir stehn.
Sein Flug, so blendend, hatte Sturmeswehn
Und fernen Meereslärm zur Ruh gebracht.
"Was willst du, Engel, tun in dieser Nacht?"
Rief ich. Und er: "Ich will die Seele dein."
Mir schien, was bang ich sah, ein Weib zu sein;
Und wehrend streckt' ich meine Arme hin
Und schrie: "Was bleibt mir? Denn du willst ja fliehn."
Doch Schweigen nur. Der Himmel, schattentief,
Erlosch…"Nimmst meine Seele du", ich rief,
"Sag, welchem Orte trägst du sie denn zu?"
Noch immer Schweigen. "Himmelsbote du,
Bist du der Tod, sprich, bist du Leben gar?"
Da, reich von Nacht mein Herz auf einmal war.
Und sich umdunkelnd, schöner doch als Licht,
"Ich bin die Liebe!" jetzt der Engel spricht.
Im Dunkeln sah ich seiner Augen Glanz
Und durch sein Schwingenpaar der Sterne Glanz.
Victor Hugo
Es war die letzte Nacht und nah das Ende
Wir küssten dir die zarten weißen Hände;
Du sprachst, lebt wohl, in deiner stillen Weise,
Und: Oh, die schönen Blumen! Riefst du leise.
Dann war's vorbei. Die großen Augensterne,
Weit, unbeweglich starrten in die Ferne,
Indes um deine Lippen, halbgeschlossen,
ein kindlichernstes Lächeln ausgegossen.
So lagst du da, als hättest du entzückt
Und staunend eine neue Welt erblickt.
Wilhelm Busch
Christrose
Immer wieder Licht sein
in der Dunkelheit
immer wieder blühen
wenn alles verwelkt ist
immer wieder hoffen
wenn vieles endet
immer wieder
leben
wie sie
Cornelia Elke Schray